Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

 

 

Anspruch und Wirklichkeit bei der Auswahl und Bewertung von Schutzgebieten gemäß FFH-Richtlinie am Beispiel Nordrhein-Westfalen

- Orientierungsrahmen zur Herleitung von Gebietsvorschlägen und kritische Analyse der bisherigen Umsetzungspolitik -

 

Gutachten im Auftrag des

Rheinischen Landwirtschafts-Verbandes (RLV) e.V., Bonn

 
Gutachter:
Jörg Haafke    Dipl.-Ing. Landschaftsplanung
Rolf Spittler    Dipl.-Geograph (Landschaftsökologe)
 
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„Der Bauer ist kein Spielzeug
Adelbert von Chamisso (1781 - 1838)

 

Inhaltsübersicht
  Vorbemerkung
  Neuer Zündstoff im alten Konflikt
I. Die zukunftsweisende Grundphilosophie der FFH-Richtlinie
  I.1 Gegensätzlichkeit von Naturnutzung und Naturschutz auflösen
  I.2  Schutz der Lebensräume und Schwerpunktsetzung nach europäischem Maßstab
  I.3 Das materielle Ziel der FFH-Richtlinie: Ein Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ mit europaweit normierten Wertmaßstäben
  I.4 Netzgedanke und europäisches Subsidiaritätsprinzip
  I.5 Der Weg zum europäischen Schutzgebietsnetz
  I.6    Verschlechterungsverbot und Verträglichkeitsprüfung konzentrieren den Schutz auf Schwerpunktgebiete
  I.7 Staatliche Verpflichtung zum Schutz der Gebietebei freier Wahl der geeigneten Mittel
    Transparenz
     
II.   Fachliche Anforderungen an die Auswahl von FFH-Gebietsvorschlägen
  II.1 Grundsätze für die Gebietsauswahl
  II.2 Das fachliche Dilemma
  II.3 Schema zur Herleitung von FFH-Gebietsvorschlägen
  II.4 Exemplarische Charakterisierung potenziell in Nordrhein-Westfalen vorkommender Lebensraumtypen und Habitate von gemeinschaftlichem Interesse
  II.5 Mindestanforderungen zur Auswahl eines FFH- und Vogelschutzgebietes
III.   Die Umsetzung der FFH-Richtlinie am Beispiel Nordrhein-Westfalen - eine kritische Bilanz
  III.1 Hausgemachter Zeitdruck und Verlagerung der Problemlösung auf den Einzelfall
  III.2 Kriterienkatalog nach Maß
  III.3 Fehlerhafte Umsetzung und Auslegung der FFH-Richtlinie
VI.   Folgerungen für eine zukunftsfähige Landwirtschafts- und Naturschutzpolitik
V.   Quellen
     
     

Auszüge aus dem Gutachten:

Neuer Zündstoff im alten Konflikt

Die bisherige Umsetzung der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen - allgemein als Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie bekannt und nachfolgend kurz als FFH-Richtlinie bezeichnet - in Nordrhein-Westfalen (NRW) hat nicht nur zahlreiche Fragen aufgeworfen, sondern auch Widerstand hervorgerufen. Seitens der betroffenen Landnutzer wurden insbesondere die mangelnde Nachvollziehbarkeit der Kriterien für die Auswahl von FFH-Gebieten und die immensen Flächenansprüche der meisten Gebietsvorschläge beklagt. Umgekehrt reklamierte der ehrenamtliche Naturschutz die schleppende Umsetzung der FFH-Richtlinie und einen zu geringen Umfang der Gebietsmeldungen.

Die vorliegende Studie will einen Beitrag zur Versachlichung des Themas leisten und dazu die Intentionen der FFH-Richtlinie und die fachlichen Anforderungen an die Auswahl von FFH-Gebieten ungeachtet der unterschiedlichen Interessenslagen herausarbeiten. Auf dieser Grundlage entsteht ein Orientierungsrahmen für die Auswahl von FFH-Gebieten und veranschaulichen konkrete Beispiele die Herleitung einer FFH-würdigen Gebietskulisse. Abschließend wird vor dem Hintergrund einer kritischen Auseinandersetzung mit dem bisherigen Geschehen zur Umsetzung der FFH-Richtlinie eine Perspektive für einen anderen Weg zur Realisierung der Naturschutzziele im Gleichklang mit wirtschaftlichen und dem Grundsatz der Nachhaltigkeit verpflichteten Interessen entwickelt.



Inhaltsübersicht




I. Die zukunftsweisende Grundphilosophie der FFH-Richtlinie


I.1 Gegensätzlichkeit von Naturnutzung und Naturschutz auflösen

Das häufig von Vertretern des Naturschutzes auch in Verbindung mit der FFH-Richtlinie in den Vordergrund gestellte Ziel der Ausweisung von Naturschutzflächen und die Formulierung von prozentualen Vorgaben für Anteile von Naturschutzflächen an der Gesamtlandschaft ist mit dem "Geist" der FFH-Richtlinie nur bedingt zu vereinbaren. Die FFH-Richtlinie entwickelt vielmehr den Anspruch, die bisherige Gegensätzlichkeit von Naturschutz und Landnutzung aufzulösen und versteht sich insoweit als Beitrag zu dem allgemeinen Ziel einer nachhaltigen Entwicklung.

Ziel der FFH-Richtlinie ist der Aufbau eines ökologischen Netzes besonderer Schutzgebiete in Europa namens "Natura 2000". Mit diesem Netz soll die Erhaltung der Artenvielfalt durch den Schutz der natürlichen Lebensräume sowie der Habitate der wild lebenden Tiere und Pflanzen gefördert werden (Artikel 2 und 3 der FFH-Richtlinie).

Dabei strebt die FFH-Richtlinie an, die Strategie des strengen Flächenschutzes zu überwinden und verträgliche Nutzungen in die FFH-Gebiete zu integrieren bzw. weiterzuführen (EUROPäISCHE KOMMISSION o.J.). Der Erhalt der biologischen Vielfalt soll dazu unter Berücksichtigung der Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten erfolgen (Art. 2, Abs. 3). Eine groß angelegte Flächeninanspruchnahme zugunsten des Naturschutzes ist aus diesen Grundsätzen nicht herzuleiten, auch wenn die öffentliche Debatte von der Nennung bestimmter Flächenanteile als erforderliche Naturvorrangräume bzw. als Meldekulisse dominiert wird. Auch wird keinesfalls der Anspruch erhoben, großflächige Naturschutzgebiete zu schaffen, in denen jegliche Tätigkeit des Menschen generell untersagt ist, jene muss allerdings mit den Erhaltungszielen für die ausgewiesenen Schutzgebiete vereinbar sein.


Inhaltsübersicht

I.2 Schutz der Lebensräume und Schwerpunktsetzung nach europäischem Maßstab

In Ergänzung ihrer zukunftsgerichteten Grundphilosophie von der Einbindung des Naturschutzes in das gesamte gesellschaftliche Geschehen besitzt die FFH-Richtlinie einen ebenso zukunftsweisenden Ansatz für das konkrete Naturschutzhandeln. Sie stellt - in Würdigung der umfangreich vorliegenden Erfahrungen mit dem klassischen konservierenden Naturschutz und der zumeist damit einhergehenden Orientierung auf örtliche Seltenheiten - den Naturschutz in ihrer Zielbeschreibung auf eine neue, qualitativ deutlich verbesserte Grundlage. Insbesondere hebt die FFH-Richtlinie nicht in erster Linie auf die Arten ab, sondern stellt den Schutz der Lebensräume in den Mittelpunkt des Interesses. Der Lebensraumschutz wird erstmals - nicht nur im Hinblick auf die ausdrücklich benannten schutzwürdigen Lebensräume (Anhang I), sondern auch als Basis für den Schutz der Arten (Anhang II) über deren Habitate - in den Vordergrund der Naturschutzbemühungen gestellt. Positiv ist weiterhin, dass das angestrebte Schutzgebietsnetz nicht aus der "Kirchturmperspektive" (eines Landes) betrachtet wird, sondern die regionalen Beiträge dazu aus globalem - oder europäischen - Blickwinkel gesehen werden müssen. Die bisher überwiegend auf einzelstaatliche Betrachtung ausgerichteten Naturschutzaktivitäten in den Mitgliedstaaten werden damit nunmehr stärker auf das gesamte natürliche Verbreitungsgebiet eines Lebensraumes oder einer Art ausgerichtet.

Danach werden die Aspekte Seltenheit und Gefährdung nicht an den bisherigen nationalen oder regionalen, durch i.d.R. von naturräumlichen Zusammenhängen abweichenden administrativen Zuständigkeiten, sondern an den entsprechenden Verhältnissen in Gesamteuropa bemessen. Es ist ebenso offensichtlich wie sachlich nachvollziehbar, dass sich bei einer entsprechend übergreifenderen Betrachtung die Wertigkeiten verschieben. So löst das Schutzbemühen um die im Wortsinne einzigartige Brennnessel auf dem südfranzösischen Mont Ventoux hierzulande nur ein mildes Lächeln aus. Die übergreifende Betrachtung ermöglicht es somit - bei der Vielzahl der in Europa vorkommenden Pflanzen- und Tierarten sowie Lebensraumtypen - eine längst überfällige, nach einer den wirklichen Verhältnissen nahe kommenden Rangfolge der Gefährdung orientierte Naturschutzpolitik zu begründen.

Die Orientierung der FFH-Richtlinie auf die europäische Verbreitung und Gefährdung ermöglicht daher auch eine stärkere Differenzierung der Aktivitäten nach Schwerpunkt- und Randvorkommen. Sie strebt dabei v.a. den Schutz in den Schwerpunktgebieten der jeweiligen Verbreitung an und zielt "unmissverständlich auf Erhaltung und Wiederherstellung größerer Biotopzusammenhänge und Zonationsserien ab" (RINGLER 1998). Diese neue, übergreifende "europäische Sicht" kann den Blick für eine sachgerechte Naturschutzpolitik nur öffnen und ist mit den Worten RINGLERs nur "konsequent, denn zum europäischen Basisnetz an Populationen kann nur gezählt werden, was populationsökologisch ausreichende Erhaltungsperspektiven bietet, also großflächig intakt sein sollte und damit auch biologisch ausstrahlende Wirkung (Dispersion, Rekolonisation früherer besiedelter Flächen) ausübt" (RINGLER 1998).

Ein aufschlussreiches und klassisches Beispiel für die bisher verbreitete, von politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängige und damit wenig sachgerechte Bewertung von konkreten Verbreitungs- und Gefährdungsdaten stellt die Genese der Gefährdung des Weißstorchs in der "Roten Liste der Bundesrepublik Deutschland" dar: Vor der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten war der Weißstorch in der bundesdeutschen Roten Liste der 80er Jahre als "vom Aussterben bedroht" eingestuft. Nach der Vereinigung fällt die bundesweite Bestandssituation weitaus günstiger aus, da nun zahlreiche größere Vorkommen in den neuen Bundesländern hinzugekommen sind. Die Art konnte sich somit ohne Naturschutzmaßnahmen, allein durch Veränderung des "Betrachtungshorizontes" auf die Kategorie "gefährdet" verbessern. "Vereinigungsbedingt" ist der Weißstorch nun laut der Roten Liste nicht mehr so stark gefährdet.

Ein aufschlussreiches und klassisches Beispiel für die bisher verbreitete, von politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängige und damit wenig sachgerechte Bewertung von konkreten Verbreitungs- und Gefährdungsdaten stellt die Genese der Gefährdung des Weißstorchs in der "Roten Liste der Bundesrepublik Deutschland" dar: Vor der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten war der Weißstorch in der bundesdeutschen Roten Liste der 80er Jahre als "vom Aussterben bedroht" eingestuft. Nach der Vereinigung fällt die bundesweite Bestandssituation weitaus günstiger aus, da nun zahlreiche größere Vorkommen in den neuen Bundesländern hinzugekommen sind. Die Art konnte sich somit ohne Naturschutzmaßnahmen, allein durch Veränderung des "Betrachtungshorizontes" auf die Kategorie "gefährdet" verbessern. "Vereinigungsbedingt" ist der Weißstorch nun laut der Roten Liste nicht mehr so stark gefährdet.

Die Kenntnis (oder zumindest eine näherungsweise Vorstellung) über Verbreitungsräume und Verbreitungsgrenzen spielt somit in der FFH-Richtlinie eine entscheidende Rolle. Es setzt sich damit mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass z.B. Schutzbemühungen im Bereich von Verbreitungsrändern aus übergreifender Sicht betrachtet nur eine bedingte Wirksamkeit erlangen können, da an den Verbreitungsgrenzen keine stabilen Lebensraumvoraussetzungen und Artpopulationen zu erwarten sind. Hier sind die jeweiligen Bestände von Natur aus individuenärmer, labiler, ihre Vorkommen anfälliger und zumeist von starken Populationsschwankungen und unstetem Auftreten gekennzeichnet.
Die FFH-Richtlinie kann mit ihrer zukunftsweisenden Grundphilosophie dazu beitragen, die bisher praktizierte und wenig erfolgreiche - denn das Artensterben konnte mit den bisherigen Naturschutzstrategien und -instrumentarien nicht generell aufgehalten werden - (Rest-)Flächenschutzpolitik zu überwinden und zu einem ganzheitlichen Gebietsschutz zu führen. Dies gilt umsomehr als die FFH-Richtlinie mit einem effektiven Naturschutz nicht etwa die obligatorische Einstellung jeglicher Nutzung verbindet. Vielmehr orientiert sich die FFH-Richtlinie an der Möglichkeit des Schutzes durch Nutzung und wird damit der Tatsache gerecht, dass die meisten erhaltenswürdigen Landschaftsstrukturen und Lebensraumausprägungen i.d.R. erst durch eine entsprechend angepasste Nutzung entstanden und nur durch adäquate wiederkehrende "Eingriffe" zu erhalten sind.


Inhaltsübersicht

III.3 Fehlerhafte Umsetzung und Auslegung der FFH-Richtlinie

Im Zuge des Diskussionsprozesses über die Meldevorschläge der nordrhein-westfälischen Naturschutzverwaltung sind die Defizite der Flächenauswahl deutlich zu Tage getreten. Gab es bereits seit Beginn der Umsetzungsphase der FFH-Richtlinie v.a. aufgrund der Neuartigkeit dieses europäischen Naturschutzinstrumentes und seiner weit reichenden - aber auch weitgehend unbekannten - Folgen Vorbehalte und Widerstände, sind diese mit der Konkretisierung der Flächenauswahl vielfach in eine deutliche Ablehnung aller FFH-Planungen übergegangen. Ein wesentlicher Grund für die entstandene Konfliktlage sind die z.T. immensen Flächenansprüche der Meldungen und vor allem die mangelnde Nachvollziehbarkeit der Begründungen sowie die teilweise unübersehbaren überinterpretationen der vorliegenden Naturschutzwertigkeiten nach einem zunächst eher zögerlichen Herangehen der bundesdeutschen Naturschutzpolitik an die Thematik.

Klassische Naturschutzpragmatik versus FFH-Richtlinie

Vermutlich vor allem aufgrund des dürftigen und unspezifischen Datenbestandes (vgl. Kap. II.2) in Deutschland haben sich die Bundesländer zunächst auf ein "pragmatisches" Verfahren zur Gebietsmeldung geeinigt. Diesen eher schematischen als fachlich der Intention der FFH-Richtlinie angepassten Ansatz beschreibt das BfN-Handbuch bezeichnenderweise unter der Kapitelüberschrift "Naturschutzfachliche Grundsätze für die Gebietsauswahl" (BUNDESAMT FüR NATURSCHUTZ 1998, S. 35, Unterstr. d. Verf.). Ohne Einzelprüfung sind dabei Nationalparke, Kernzonen der Biosphärenreservate und Gebiete gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung aufgenommen worden. Eine überprüfung soll bei bereits geschützten Gebieten dahingehend erfolgen, ob sie den Anforderungen der FFH-Richtlinie genügen. Dies gilt für Vogelschutzgebiete entsprechend der Vogelschutzrichtlinie, die ggf. auch als FFH-Gebiete benannt werden können, für Feuchtgebiete internationaler Bedeutung (Ramsar) und Naturschutzgebiete, die größer als 75 ha sind. Weiterhin sollen einstweilig sichergestellte oder geplante Schutzgebiete sowie naturschutzfachlich sektorale Gebietslisten überprüft werden. Hierunter fallen neben den geplanten Naturschutzgebieten offene Listen für Naturschutzgroßprojekte und Vorrangflächen für den Naturschutz, "Schattenlisten" zu Ramsar, IBA-Gebiete (Vogelschutzgebiete), CORINE-biotopes-Projekte der EG und ggf. weitere naturschutzfachliche Gebietslisten und Verbandsvorschläge. Zur Dokumentation der FFH-Relevanz wurden für die einzelnen Gebiete Listen mit den dort vorkommenden "FFH-Arten" - allerdings ohne nähere Spezifikation der jeweiligen Ausprägung - erstellt. Danach erfolgt dann eine Prüfung der naturräumlichen Repräsentanz und eine Berücksichtigung der Entwicklungs- und Biotopverbundansätze. Es ist ebenfalls noch zu prüfen, ob alle Lebensraumtypen des Anhangs I in allen Naturräumen, in denen sie vorkommen, abgedeckt und welche Entwicklungsgebiete oder Korridore zusätzlich zur Sicherstellung der Kohärenz von "Natura 2000" erforderlich sind. Ebenfalls erfolgt eine Prüfung auf die Vollständigkeit der Meldungen in Bezug auf die Arten des Anhangs I. Die beiden letztgenannten Verfahrensschritte sind bei den bisherigen Gebietsvorschlägen der Bundesländer nicht berücksichtigt worden. Es darf in Frage gestellt werden, ob dieses "pragmatische" Verfahren der Gebietsauswahl in allen Teilen mit den konkreten Vorgaben und Auswahlkriterien der FFH-Richtlinie in Einklang zu bringen ist.

In jedem Fall bleibt der "Geist" der FFH-Richtlinie bei diesem "pragmatischen" Umsetzungsverfahren in der Bundesrepublik völlig außer Acht, denn die Gebietsauswahl stützt sich zumindest in der ersten Meldetransche überwiegend auf vorhandene Naturschutzgebiete und es fand keine explizite Prüfung statt, ob diese Flächen auch FFH-würdig sind. Damit steht die Vorgehensweise im Widerspruch zu dem rein fachlich orientierten und in Artikel 4 Absatz 1 formulierten Ansatz der FFH-Richtlinie. Danach ist es Ziel der FFH-Richtlinie, unabhängig von einer real existierenden Flächenschutzpolitik, auf der Grundlage rein fachlicher Kriterien Gebiete zu ermitteln, die für den Lebensraumschutz und den Schutz der Arten objektiv erforderlich sind.

Intention der FFH-Richtlinie nicht erkannt oder nicht gewürdigt

Es scheint, dass die zukunftsweisenden Ansätze der FFH-Richtlinie, die eine neue Praxis im Naturschutz einleiten könnten, durch die klassischen Arbeitsstrukturen in den Naturschutzverwaltungen bei der Gebietsauswahl überdeckt oder aber missachtet werden. Durch die zunächst wenig differenzierte und später vorrangig schematisch hergeleitete Flächenauswahl und eine zu geringe Thematisierung der Folgewirkungen der Ausweisung eines FFH-Gebietes, wie auch der Möglichkeiten für eine zukunftsweisende Naturschutzpolitik mit der FFH-Richtlinie, entsteht der Eindruck, dass die bisherige Praxis der Ausweisung von Naturschutzvorrangräumen ohne Veränderung fortgesetzt werden soll. Über mögliche Gründe für die kollektive Untätigkeit der deutschen und nordrhein-westfälischen Naturschutzverwaltung einerseits und die Fantasielosigkeit zur Einleitung einer neuen Naturschutzpolitik andererseits kann an dieser Stelle nur gemutmaßt werden. Deutlich wird nicht nur die geringe Ernsthaftigkeit, mit der das ehrgeizige europäische Naturschutzziel verfolgt wurde. Zugleich wird die Motivation, die dem Naturschutz immer noch zugrunde liegt überdeutlich. Primäres Ziel scheint es immer noch zu sein, soviel Flächen für den Naturschutz zu reservieren wie nur möglich, nur so lassen sich die zunächst immensen Meldewünsche erklären. Dabei knüpfen diese Flächenansprüche einerseits an bereits seit Jahren in der Naturschutzszene diskutierte Forderungen nach Vorrangräumen für den Naturschutz mit Flächenanteilen zwischen 5 und 20 % an und überinterpretieren in diesem Sinne andererseits die Zielvorgabe der FFH-Richtlinie zur Schaffung eines "kohärenten ökologischen Netzes von Schutzgebieten" als Maßgabe zur Schaffung eines entsprechend großzügigen Biotopverbundsystems (vgl. z.B. SSYMANK 1994, S. 398f).

Möglichkeiten, gemeinsam z.B. mit den Landnutzern partnerschaftlich zu wirken, wurden dagegen bislang nicht gesucht oder blieben unerfüllte Willensbekundungen. Tatsächlich blieben die Interessen und Wirtschaftsbedingungen der Eigentümer und Bewirtschafter bisher völlig unberücksichtigt. Eine offensive und frühzeitige Beschäftigung mit den Folgewirkungen der FFH-Richtlinie hätte jedoch dazu beitragen können, Misstrauen und Befürchtungen von Landnutzern zu vermeiden. Mehr noch hätten Gebietsvorschläge und Entwicklungsziele für wertvolle Gebiete gemeinsam mit der Landwirtschaft erarbeitet werden können (vgl. auch MARSCHALL 1998b). Denn ohne Mitwirkung der Grundeigentümer und der Bewirtschafter der land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen kann der Zustand der Landschaft nicht wirksam beeinflusst werden. Gerade vor dem Hintergrund, dass es sich um ein Naturschutzgesetz handelt, das nicht im deutschen Gesetzgebungsverfahren unter Beobachtung der deutschen öffentlichkeit entstanden ist, hätte die deutsche Naturschutzverwaltung die Umsetzung der FFH-Richtlinie und insbesondere die Auswahl konkreter Vorschlagsflächen viel sensibler sowie unter größerer Beteiligung und Information der öffentlichkeit durchführen müssen. Dies gilt umsomehr aufgrund der zukunftsweisenden Naturschutzansätze der FFH-Richtlinie. Und dies muss nicht zuletzt auch gelten, weil die Landnutzer zurecht wegen des proklamierten großen Flächenbedarfs der FFH-Gebiete befürchten, dass der Naturschutz nun die groß angelegte "Landnahme" durchführt. Die Naturschutzverwaltungen haben bislang die Chance verpasst, gemeinsam mit den Landnutzern einen Weg für eine zukunftsweisende Naturschutz- und Landwirtschaftspolitik zu finden. Obwohl gerade in den letzten Jahren in der Fachdiskussion neue Konzepte des Naturschutzes insbesondere für extensiv genutzte Kulturlandschaften diskutiert wurden (z.B. BUNDESAMT FüR NATURSCHUTZ 1997) und seitens der Naturschutzverbände, etwa durch die Kampagne des Bundesverbandes des Naturschutzbund Deutschland (NABU) "Landschaft schmeckt", für ein verändertes Naturschutzverständnis geworben wird, wurden alle Ansätze einer anderen Naturschutzpolitik zurückgewiesen. Eine behutsame, die erwartungsgemässen Reaktionen der öffentlichkeit berücksichtigende Umsetzung der FFH-Richtlinie erfolgte nicht. Vielmehr entstand der Eindruck, die Gebietsmeldungen sollten möglichst rasch und ohne größere Diskussion nach Brüssel gereicht werden.

Wunschkatalog statt begründeter Gebietsvorschläge

Bis Juni 1994 war die FFH-Richtlinie gemäß EU-Fahrplan in die deutsche Gesetzgebung zu überführen. Dies erfolgte nicht, doch sowohl die Diskussionen über die Umsetzung der FFH-Richtlinie als auch entsprechende Aktivitäten der Umweltverbände hielten sich in Grenzen. Vor allem die Zurückhaltung der Naturschutzverbände kann als deutliches Indiz für die zunächst geringe Beachtung der Thematik gewertet werden. Zwar sorgte das Thema zwischenzeitlich für bundesweite Schlagzeilen, als nämlich vor Jahren der Bremer Umweltsenator wegen des Festhaltens an seinen Gebietsmeldungen zurücktreten musste, aber letztendlich ließ das Thema FFH bis vor kurzem - gemessen am EU-Zeitplan - alle Beteiligten kalt.
Erst als die vermeintlichen Chancen erkannt wurden, mit Hilfe der FFH-Richtlinie flächenorientierte Naturschutzforderungen durchzusetzen, wurden die Aktivitäten verstärkt.

Die FFH-Richtlinie wird gegenwärtig vielfach zum Maß aller Naturschutzdinge hochstilisiert und offenkundig von den Naturschutzverbänden genutzt, um langjährig gehegte Wünsche auf einen Flächenanteil von 10-15 % der Landesfläche für den Naturschutz einzufordern. Während die bisherige bundesdeutsche Naturschutzpolitik sich unbestritten den naturschützerisch bedeutendsten Flächen widmete und dabei in jahrewährenden Bemühungen allmählich Flächenanteile von 1 bis 5 % gesichert hat, sollen nun in einem Zug um das drei- bis zehnfach größere Flächen europaweite Bedeutung haben. Es dürfte einsichtig sein, dass hier eine Schieflage bestehen muss.
Es besteht weiter der Eindruck, dass neben der "umsetzungsmethodischen" auch die fachliche Professionalität bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie fehlt. Das Land Nordrhein-Westfalen wurde den fachlichen Anforderungen, die die FFH-Richtlinie an die Gebietsauswahl stellt, zunächst nicht und später auch nur bedingt gerecht. Anhang III der FFH-Richtlinie setzt für die erste Phase der Gebietsauswahl voraus, dass eine hinreichend abgesicherte Datengrundlage zur Verbreitung, Häufigkeit und Wertigkeit der Biotoptypen und Arten vorhanden sein muss. Denn die Bedeutung einer Vorschlagsfläche kommt nicht nur durch die Größe und Qualität der in einer Vorschlagsfläche enthaltenen Biotope und Arten zustande, sondern wird auch durch die Häufigkeit und Bedeutung dieser Biotope und Arten außerhalb der Vorschlagsflächen bestimmt. Eine Beurteilung der Vorschlagsfläche auf Grundlage entsprechender Angaben ist bisher nicht möglich. Die Naturschutzverwaltung NRW hat diese Daten in den Diskussionen über die Gebietsauswahl nur zögerlich oder schrittweise und z.T. trotz fortgeschrittenem Verfahrensstand immer noch nicht vollständig zur Verfügung gestellt. Es erhärtet sich der Verdacht, dass die betreffenden Daten meistenteils überhaupt nicht vorhanden sind. Die ersten Darlegungen beschränkten sich auf eher allgemeine Gebietsbeschreibungen und auf die Präsentation von Kartenmaterial, das offenkundig nicht im Sinne der Kriterien des Anhangs III der FFH-Richtlinie aufgearbeitet wurde. Es hat den Anschein, dass zunächst ein umfangreicher Wunschkatalog von Gebieten aufgestellt wurde, für die nun im Nachhinein die Wertigkeit nachgeliefert werden soll. Nach und nach fallen bei näherer Prüfung anhand der Anhang III-Kriterien Gebiete aus der ursprünglichen Vorschlagsliste heraus, weil ihre angebliche Bedeutung nicht begründet werden kann oder sie den Anforderungen an ein europäisches Schutzgebiet offenkundig nicht genügen. Offen bleibt, welche Kriterien das Land NRW für die ursprüngliche Gebietsauswahl verwendet hat, nachdem das MURL im Rahmen der Fachgespräche für das Rheinland mit der Landwirtschaft die fachliche überprüfung der bis dahin vorgeschlagenen Gebietsauswahl anordnete.
Es passt in das Bild eines von Wunschdenken geprägten bisherigen Handelns der Naturschutzverwaltung, dass den Kriterien gemäß FFH-Richtlinie zunächst wenig Beachtung geschenkt und jene auch im weiteren Verfahren nur unzureichend entwickelt wurden, obwohl die Europäische Kommission die Gebietsmeldungen unmissverständlich an die Kriterien des Anhangs III koppelt und auf dieser Grundlage einen speziellen Meldebogen entwickelt hat.


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IV. Folgerungen für eine zukunftsfähige Landwirtschafts- und Naturschutzpolitik

Der innere Zusammenhang von Naturschutz und Landwirtschaft

Der mit dem vorliegenden Gutachten erarbeitete Orientierungsrahmen für die Auswahl von potenziellen FFH-Gebieten macht neben der speziellen Problematik hinsichtlich verfügbarer bzw. nachvollziehbarer Daten sowie der damit verbundenen Bewertung für zahlreiche, von der FFH- bzw. der Vogelschutzrichtlinie erfasster Lebensräume sowie Arten die Unzulänglichkeit der bisherigen Naturschutzpraxis deutlich:
Die weitaus meisten Lebensraumtypen und Arten mit agrarwirtschaftlichem Bezug sind - und das ist durchaus weder eine überraschende noch neue Erkenntnis - kulturlandschaftlich bedingt, d.h. deren Vorkommen und Existenz stehen in unmittelbaren Zusammenhang mit landschaftlich prägenden Tätigkeiten des Menschen. Die Landbewirtschaftung hat in unseren Breiten diese Lebensräume nicht nur erst entstehen lassen, sondern sie trägt auch für deren Pflege und Erhaltung Sorge - mit der Einschränkung allerdings, sofern die jeweilige Nutzung ökonomisch tragfähig ist. Und diesbezüglich ist ebenso wenig in Zweifel zu ziehen, dass vor allem während der letzten 30 bis 40 Jahre in Abhängigkeit der herrschenden Agrarpolitik und der Entwicklungen auf den Märkten nachhaltig wirksame Veränderungen erfolgt und einerseits nicht wenige, extensiv genutzte Kulturlandschaften aus der Bewirtschaftung herausgefallen sowie andererseits in den agrarischen Vorrangräumen ständige Veränderungen in Art und Intensität der Landnutzung zu verzeichnen sind.
Neben dieser generellen Wechselbeziehung zwischen Landbewirtschaftung und "Natur"ausstattung kommen - insbesondere mit Blick auf die Vogelschutzrichtlinie - in der gegenwärtigen Diskussion darüber hinaus auch die Aspekte von "zeitlich befristeten Schutzgebieten" (Winteraufenthalt) und zudem großräumigen "Schutzzonen" zum Tragen.
Beide Sachzusammenhänge finden auch in der Grundphilosophie der FFH-Richtlinie Berücksichtigung (Artikel 2, Abs. 3) und verlangen dazu im Hinblick auf eine zukunftsweisende und dauerhaft gesellschaftlich tragfähige Perspektive eine tiefergehende Beschäftigung mit den Bedingungen und Hintergründen der gegenwärtigen Problemlage hinsichtlich des Schutzes der Natur.

Das Dilemma betrifft Bauern und Naturschutz gleichermaßen

Unsere Kulturlandschaft verdient Schutz - das ist unbestritten. Doch der Schutz einer Kulturlandschaft kann nicht ohne Beachtung der Menschen und der Existenzen geschehen, die für die spezielle Ausbildung der kulturlandschaftlichen Eigenarten durch ihr Tun verantwortlich sind. Wer über den Schutz einer Landschaft redet, muss die untrennbar mit dieser Landschaft verbundenen sozioökonomischen Bedingungen einbeziehen. Und diese andere Seite der Medaille beinhaltet u.a. die Agrarwirtschaft.
In landwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaftsräumen war und ist die Agrarwirtschaft ursächlich verantwortlich für die Ausprägung der landschaftlichen Verhältnisse. Mit dem Wandel in der Agrarwirtschaft ändert sich zwangsläufig auch die landschaftliche Situation und in der Folge auch die Zusammensetzung der Pflanzen- und Tierwelt.
Insoweit sind Naturschützer und Bauern eine natürliche Einheit und sollten Agrar- und Naturschutzpolitik zwei miteinander kompatible Seiten einer Medaille sein.
Vor diesem Hintergrund will sich diese Studie nicht als Verweigerer der Umsetzung der FFH-Richtlinie, sondern als Initiator für einen zukunftsträchtigen Naturschutz im Miteinander mit der Landnutzung verstanden wissen. Die Zeit ist mehr als reif, sich über einen gemeinsamen Weg aus der Misere zu verständigen. Dazu ist es z.B. vor allem erforderlich, die Inhalte der "Agenda 2000" im Hinblick auf die Existenzfähigkeit einer tragfähigen und kulturlandschaftlich verantwortungsbewussten Landwirtschaft zu verbessern und die geltenden Naturschutzinstrumentarien zu überprüfen.

Ansatzpunkte für einen gemeinsamen agrar- und naturschutzpolitischen Weg

Traditionell beschränkt sich der Naturschutz im Bestreben zum Erhalt von bestimmten Lebensräumen bzw. Arten auf die Ausweisung von Schutzgebieten (gemäß der jeweiligen Landesnaturschutzgesetze). Damit sind in der Regel definierte Restriktionen verbunden, die letztendlich auch für die Landnutzung bedeutsam sind.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Form der Naturschutzpolitik entweder dazu führt, dass die Landnutzung mangels Rentabilität aufgeben werden muss und die erforderlichen Tätigkeiten in aufwendiger Pflege extern gesichert oder nicht unbeträchtliche Mittel aufgebracht werden müssen, um Nutzungseinschränkungen auszugleichen.
Inzwischen widmet sich die Naturschutzfachwelt vor allem vor dem Hintergrund der mangelnden Effizienz naturschutztechnischen Pflegemanagements und in Anbetracht fehlender Finanzmittel verstärkt der Entwicklung alternativer Konzepte vor allem für extensiv genutzte Kulturlandschaften (vgl. z.B. BUNDESAMT FüR NATURSCHUTZ 1997a).
Dabei besteht Einigkeit, "dass der Naturschutz dringend gefordert ist, die Entwicklung alternativer Konzepte für den Schutz durch offene Biotope geprägter Landschaften voranzutreiben" (ebenda). Auch die Erkenntnis, dass die Umsetzung entsprechender Schutzmaßnahmen "in der Regel nicht in einer menschenleeren Landschaft" erfolgt und "immer auch Konflikte mit anderen gesellschaftlichen Ansprüchen ... verursachen" wird und dass diese zumindest fallweise "auch mit den vorgestellten Naturschutzzielen zur Deckung" zu bringen sind (ebenda).
Ein in dieser Hinsicht beispielhaftes Modellprojekt führt der Deutsche Bauernverband seit 1997 in der Eifel durch. Unter dem Motto "Naturschutz durch Nutzung und Vermarktung regionaler Produkte" sind daran etwa 250 Landwirte beteiligt und konnten bislang über 350 ha artenreiches Grünland im Rahmen vertraglicher Vereinbarungen in eine Nutzung überführt werden, die sowohl den Erhalt vieler seltener und gefährdeter Pflanzen- und Tierarten fördert als auch den Landwirten ein interessantes Nebeneinkommen bietet. Die notwendige Dauerhaftigkeit dieser vorbildlichen Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Naturschutz wird u.a. durch entsprechende Marketingaktivitäten zur Vermarktung und zum Absatz des unter Einbeziehung dieser Grünlandflächen produzierten Rindfleisches aufgebaut (vgl. Landwirtschaftliche Zeitung Rheinland 25-99, S. 11).
Langfristig dürften nach den bisherigen Erfahrungen mit der Entwicklung der Landnutzung einerseits und jener des Naturschutzpflegemanagement ande-rerseits nur solche Naturschutzkonzepte Erfolg versprechend sein, die dauerhaft wirtschaftliche Nutzungsmöglichkeiten gewährleisten und dabei die erforderliche Pflege der Lebensräume integrieren. Dazu sind neue Wege auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen erforderlich.

Konkrete Ansatzpunkte einer neuen Naturschutzpolitik

Die FFH-Richtlinie gründet - wie einleitend dargestellt wurde - auf einem zukunftsweisenden Ansatz hinsichtlich der generellen Auswahl der Schutzobjekte sowie hinsichtlich der Struktur diesbezüglich angestrebter Schutzbemühungen. Vermutlich vor dem Hintergrund des europäischen Subsidiaritätsprinzips und einer daraus resultierenden Haltung zur Vermeidung weitreichender Eingriffe in die Souveränität der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Art und Weise der Umsetzung der europäischen Naturschutzziele beinhaltet die FFH-Richtlinie darüber hinaus jedoch auch ebenso zukunftsfähige Ansätze für deren Umsetzung:
So legt die FFH-Richtlinie in Artikel 6 fest, dass die für die besonderen Schutzgebiete nötigen Erhaltungsmaßnahmen "gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen" können. Es muss also nicht das klassische Schutzgebiet sein, vielmehr steht den Mitgliedstaaten damit ein breites Spektrum möglicher Maßnahmen zur Verwirklichung der Naturschutzziele zur Verfügung.
Die Zukunft für Landwirtschaft und für Naturschutz gleichermaßen braucht eine gemeinsame Basis, um diesem verhängnisvollen Prozess wirksam entgegentreten zu können. Die Umsetzung der FFH-Richtlinie bietet dazu nicht nur Anlass, sondern aufgrund der überaus zukunftsweisenden Grundphilosophie auch eine, vielleicht sogar einmalige Chance, um für die angestrebten Gebiete von europäischer Naturschutzrelevanz jeweils eigenständige Konzepte für die zukünftige Landnutzung zu entwickeln, die per se die Berücksichtigung der Naturschutzbelange beinhaltet. Dazu bietet sich ein Moderationsprozess unter Leitung der Landesregierung und unter Beteiligung aller Interessengruppen und insbesondere unter Beteiligung aller Landnutzer an. Wesentliche Bedingung für die dabei zu erarbeitenden Entwicklungspläne muss die ökonomische Absicherung der zukünftigen Landnutzung sein. Dies sollte nicht oder darf bestenfalls übergangsweise durch direkte Einkommensübertragungen, sondern sollte über eine entsprechend höherwertige Produktvermarktung erfolgen. In diesem Sinne können und sollten die einzelnen Zielregionen durchaus weitgefasst sein, um jeweils zusammenhängende Wirtschaftsräume erfassen zu können.
Insoweit besteht die Erwartung, dass die Naturschutzverwaltung die Landwirtschaft nicht nur zur Frage der Auswahl und Abgrenzung von potenziellen FFH-Gebieten einlädt, sondern in erster Linie um zukunftsfähige Konzepte der Bewirtschaftung für die jeweiligen Zielregionen zu diskutieren. Eine solche Herangehensweise drängt sich vor allem auch für den Gänseschutz am Unteren Niederrhein auf.

Naturschutzrechtliche Verankerung

Weder das bundesdeutsche noch das nordrhein-westfälische Naturschutzrecht bieten derzeit eine eindeutige Grundlage, um andere als die mit den klassischen Schutzgebieten verbundenen Naturschutzkonzepte umzusetzen. Insoweit drängt sich bei unterstellter Bereitschaft der Landesregierung durchaus die Konsequenz auf, die Einführung einer neuen Zielorientierung des Naturschutzes auch mit der Aufnahme einer entsprechend neuen "Schutzgebiets-Kategorie" in das Landschaftsgesetz Nordrhein-Westfalen zu verbinden.
Auf diesem Wege könnte nicht nur die nötige Verbindlichkeit, sondern auch eine juristische Eindeutigkeit geschaffen werden.


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